Die Restitution nationalsozialistischer Raubkunst (RS-Raubkunst) spielt eine zentrale Rolle im Kunstrecht. Denn Kunst muss in ihrem geschichtlichen Kontext gesehen werden, welcher eng mit Herkunft und Kultur verknüpft ist. Kunst ist ein zentraler Teil der Erinnerungskultur.
In Deutschland hat sich bislang die Beratende Kommission mit Restitutionsfällen, wie dem bekannten Welfenschatz-Fall, befasst. Das deutsche Restitutions-/Kunstrecht wird nun durch die Einführung eines Schiedsgerichts reformiert.
Regelungen zur Restitution von NS-Raubkunst im Kunstrecht
Die Wiederherstellung von rechtmäßigen Eigentumsverhältnissen, unter anderem bezüglich NS-Raubkunst, ist ein bedeutsamer Teil des Restitutions-/Kunstrechts.
Der Begriff NS-Raubkunst im Kunstrecht umfasst unter anderem die Entwendung von Kunstwerken und Kunstsammlungen durch die nationalsozialistische Gewaltherrschaft, die aufgrund von rassistischen, politischen und weltanschaulichen Verfolgungen stattfand. NS-Raubkunst im Kunstrecht umfasst auch solche Kunstgegenstände, die Juden bei der Flucht, schon vor dem Krieg, veräußern mussten oder nicht mitführen konnten.
Die Restitution von NS-Raubkunst geschieht juristisch, im Restitutions-/Kunstrecht, durch Prüfung und gegebenenfalls durch eine angemessene Entschädigung oder durch die Rückgabe von Gegenständen, die sich heute noch in öffentlichen Kunstsammlungen sowie Museen und Kunstausstellungen befinden, an den rechtmäßigen Eigentümer.
In Deutschland ist seit 1993 die Geltendmachung eines Restitutionsanspruchs auf Grundlage eines speziellen Rückerstattungsrechts nicht (mehr) möglich, wobei eine Rückerstattung auf Grundlage des allgemeinen zivilrechtlichen Herausgabeanspruchs gemäß §985 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) nur in besonderen Ausnahmefällen zur Verfügung steht. Ein Restitutionsgesetz existiert nicht.
Es stehen jedoch im Restitutions-/Kunstrecht die Washingtoner Prinzipien und die Beratende Kommission, die durch ein Schiedsgericht ersetzt werden soll, zur Prüfung und Geltendmachung von Restitutionsansprüchen zur Verfügung.
Washingtoner Prinzipien für „faire und gerechte“ Lösungen
Die Washingtoner Prinzipien wurden bei der Washingtoner Konferenz über Vermögenswerte aus der Zeit des Holocaust im Jahr 1998 durch 42 Staaten, hierunter die Bundesrepublik Deutschland, unterzeichnet.
Sie bilden den Kernbestandteil der juristischen Aufarbeitung der historischen Verantwortung im Restitutions-/Kunstrecht. Denn in den elf Leitsätzen verpflichten sich die Staaten unter anderem dazu, „faire und gerechte Lösungen“, beispielsweise im Kunstrecht, für solche Kulturgüter und Gegenstände zu finden, die nicht restituiert wurden (vgl. Artikel 8 der Washingtoner Prinzipien).
Bei den Washington Prinzipien handelt es sich um unverbindlichen völkerrechtliche Leitlinien (soft law) im Restitutions-/Kunstrecht. Beispielsweise individualrechtliche Ansprüche der Betroffenen begründen sie nicht. Den Teilnehmerstaaten steht es offen, ob und wie sie diese in ihr Rechtssystem aufnehmen.
In der Bundesrepublik Deutschland geschah die Umsetzung im Jahr 1999 durch die Gemeinsame Erklärung „zur Auffindung und Rückgabe NS-verfolgungsbedingt entzogenen Kulturgutes, insbesondere aus jüdischem Besitz" als soft law Instrument. Darüber hinaus entstand die rechtlich unverbindliche Handreichung für öffentliche Träger, welche einen praktischen Leitfaden für die Rückgabe und Identifizierung von NS-Raubkunst darstellt.
Auf Grundlage von Art. 10 und 11 der Washingtoner Prinzipien wurde die Beratende Kommission im Zusammenhang mit der Rückgabe NS-verfolgungsbedingt entzogenen Kulturguts ins Leben gerufen.
Die Arbeit der Beratenden Kommission
Die Beratende Kommission wurde errichtet, um auf Grundlage der Washingtoner Prinzipien, der Gemeinsamen Erklärung und der Handreichung in Restitutionsfragen bezüglich Sammlungen in öffentlich-rechtlicher Trägerschaft zu vermitteln.
Ihr wurde das Treffen von rechtlich unverbindlichen Empfehlungen im Restitutions-/Kunstrecht, die auf „moralisch-ethischen“ Begründungen basieren, zugewiesen (Seite 57 der Handreichung). Rechtlich unverbindliche Empfehlungen bedürfen keiner zwingenden Umsetzung.
Dem Tätigwerden der Beratenden Kommission wurde die Anrufung im Restitutions-/Kunstrecht durch beide Streitparteien vorangestellt. Sie hat seit ihrer Einrichtung als Institut im Kunstrecht in mehr als zwanzig Meinungsverschiedenheiten tatsächliche Empfehlungen abgegeben, um zu „gerechten und fairen Lösungen“ für Restitutionsansprüche zu kommen.
Die Arbeit der Beratenden Kommission wurde über die Jahre immer wieder zum Gegenstand von Kritik, weshalb im Jahr 2025 ihre Ersetzung durch ein Schiedsgericht beschlossen wurde.
Prüfstein der Kommission: Der Fall Welfenschatz
Im bekannten Welfenschatz-Fall im Restitutions-/Kunstrecht wurde die Beratende Kommission erstmals im Jahr 2008 angerufen. Sie hatte zu entscheiden, ob es sich bei dem Welfenschatz um einen NS-verfolgungsbedingten Zwangsverkauf, somit um NS-Raubgut, handelte.
Im Jahr 2025 befasst sich die Beratende Kommission ein weiteres Mal mit dem Welfenschatz.
Der Welfenschatz ist eine Sammlung kunsthandwerklicher Gegenständen, die als einer der bedeutendsten deutschen Kirchenschätze des Mittelalters gilt. Eine Partei schätzt den Wert auf mehrere hundert Millionen US-Dollar.
Die Beratende Kommission wurde mit dem Fall Welfenschatz befasst, da er von jüdischen Kunsthändlern im Jahr 1935 an den preußischen Staat für mehrere Millionen Reichsmark verkauft wurde oder verkauft werden musste. Die Stiftung Preußischen Kulturbesitz (SPK) hat zweiundvierzig der mittelalterlichen Kunstgegenstände in ihrem Besitz.
Im Jahr 2008 machten die Nachfahren Restitutionsforderungen bezüglich des Welfenschatzes geltend und forderten, den Welfenschatz nach den Washingtoner Prinzipien im Rahmen vom Restitutionsrecht zu restituieren.
Die damalige Beratende Kommission befasste sich mit diesen Forderungen und kam in 2008 zu der Empfehlung, dass keine Restitution im Restitutions-/Kunstrecht stattfinden müsse, da es sich nicht um einen NS-verfolgungsbedingten Zwangsverkauf handele. Eine Restitution fand nicht statt.
Es wurde argumentiert, dass keine Dokumente oder Beweise vorlägen, “die darauf hindeuten, dass die Kunsthändler und ihre Geschäftspartner in dem […] speziellen Fall in den Verhandlungen – etwa von [Hermann] Göring – unter Druck gesetzt worden sind.”
Im Frühjahr 2024 wurde eine erneute Befassung im Restitutions-/Kunstrecht durch die Beratende Kommission eingeleitet, da neue Dokumente auftauchten.
Auf Seite der Erben sei man zuversichtlich, dass bei Neubefassung der Charakter des Zwangsverkaufs als solcher anerkannt und eine „sachgerechte Befassung“ möglich sei. „Juden hatten 1935 in Deutschland praktisch keinen Handlungsspielraum mehr. Neu aufgetauchte Beweise verstärken diese Erkenntnis nochmals“. So der Vertreter eines Teiles der Erben der Kunsthändler.
Da es zeitweise noch an einer beidseitigen Zustimmung mangelte, die für die Befassung durch die Beratende Kommission nötig ist, hatte sie sich bislang nicht erneut mit dem Fall auseinandergesetzt. Eine solche liege auf Seiten der SPK nun vor.
Als Kulturstaatsministerin begrüßte Claudia Roth diese Entscheidung. „Aus der Geschichte der Verfolgung vor allem jüdischer Menschen im und durch das nationalsozialistische Deutschland ergibt sich für uns bis heute eine besondere Verantwortung, Rückgaben voranzubringen, wenn es sich um NS-verfolgungsbedingt entzogene Kulturgüter handelt. Deutschland hat sich hierzu durch die Washingtoner Prinzipen bekannt. Diesem Bekenntnis werden wir auch durch die heutige Entscheidung gerecht.“
Reform im Kunstrecht: Das „Schiedsgericht NS-Raubkunst“
Die wiederholte Auseinandersetzung mit dem Welfenschatz-Fall unterstreicht einige Schwachstellen der bisherigen Restitutionspraxis mit Blick auf faire und gerechte Lösungen für beide Parteien.
Im März 2025 wurde die Auflösung der Beratenden Kommission und die Übernahme der Aufgaben durch ein Schiedsgericht verkündet. Mit der Einführung des Schiedsgerichts gehen Änderungen einher, die unter anderem versuchen, die bestehenden Kritikpunkte an der Beratenden Kommission anzugehen.
Einerseits soll dem Anspruchssteller einer Forderung im Restitutions-/Kunstrecht ein einseitiges Anrufungsrecht zur Verfügung stehen. Der beidseitigen Zustimmung, die beispielsweise im Welfenschatz-Fall zumindest zu einer Verzögerung führte, bedarf es nicht mehr.
Jedoch müssen Antragsgegner, also Bund, Länder und Kommunen ein auf Dauer angelegtes, „stehendes Angebot“ (standing offer) machen. Erst dann kann jeder Anspruchssteller mit ihnen in ein Schiedsverfahren gehen.
Andererseits sollen im Gegensatz zu den nicht-bindenden Empfehlungen der Beratenden Kommission im Restitutions-/Kunstrecht, die Entscheidungen des Schiedsgericht bindend sein. Nur bei groben Fehlern kann das Verfahren von der ordentlichen Gerichtsbarkeit im Kunstrecht übernommen werden und den Instanzenzug durchlaufen.
Dann wäre auch der Weg zu den ausländischen Gerichten in Fragen vom Restitutions-/Kunstrecht im Regelfall ausgeschlossen. In Fällen wie beim Welfenschatz, in dem zwischenzeitlich US-amerikanische Gerichte befasst wurden, könnten grundsätzlich keine ausländischen Gerichte mehr eingeschaltet werden.
Eine weitere Neuerung ist, dass die Handreichung nun für die Schiedsgerichtsbarkeit bei ihrer Entscheidungsfindung verbindlich ist. Währenddessen stand es der Beratenden Kommission frei, diese heranzuziehen und in Empfehlungen über die gegebenen Maßstäbe hinauszugehen.
Mit Blick auf die neue Befassung mit dem Welfenschatz-Fall sei Roth als Kulturstaatsministerin „sicher, dass die gemeinsam mit den Ländern, den kommunalen Spitzenverbänden sowie der Jewish Claims Conference und dem Zentralrat der Juden in Deutschland vereinbarte Schiedsgerichtsbarkeit hier weitere Fortschritte möglich machen wird.“ Auch der Zentralrat der Juden begrüßt die Initiative.
Andererseits wurde bereits im Januar 2024 in einem offenen Brief Olaf Scholz als Bundeskanzler, welcher von den Anwälten, Historikern und Nachkommen der Opfer nationalsozialistischer Verfolgung unterzeichnet wurde, Kritik geübt. Kritisiert wurde unter anderem die fehlende Einbeziehung von Sachverständigen und Interessengruppen.
Experte für Restitutionsrecht Zacharias Mawick hofft, dass „die schwere Geburt des Schiedsgerichts nicht Vorbote einer umstrittenen Entscheidungspraxis ist, die zwar auf anderen Füßen steht, jedoch genau so unbefriedigend für alle Beteiligten sein könnte, wie zuvor die Beratende Kommission.“
Es wird sich zeigen, wie das Schiedsgericht in Zukunft bei Fällen wie dem Welfenschatz Fragen im Restitutions-/Kunstrecht beantwortet.
Resumé
Die Auflösung der Beratenden Kommission, welche durch ein Schiedsgericht ersetzt wird, stellt eine bedeutende Änderung im Restitutions-/Kunstrecht und in der deutschen Restitutionspraxis dar. Insbesondere mit Blick auf das einseitige Anrufungsrecht und die Rechtsverbindlichkeit der Entscheidungen wurde auf Probleme reagiert, die in Fällen wie dem des Welfenschatzes eine Restitution für Anspruchssteller erschwert haben.
„Die Prüfung der Restitution von NS-Raubkunst bleibt ein zentrales Thema, nicht nur im Kunstrecht, sondern auch in der Erinnerungskultur der Bundesrepublik Deutschland. Es ist noch ungewiss, wie das neue Schiedsgericht in der Praxis mit Restitutionsfragen umgehen wird.“ So dtb-Rechtsanwalt und Experte für Kunstrecht und Restitution Leon van Lee. „Wichtig ist, dass faire und gerechte Lösungen nach den Washingtoner Prinzipien gefunden werden.“
Stand 01.05.2025