In seinem Urteil vom 20. Februar 2025 entschied der Bundesgerichtshof (BGH), dass die Sandalen des Herstellers Birkenstock keine urheberrechtlich geschützten Werke der angewandten Kunst (§§2 Abs. 1 Nummer 4, Abs. 2 Gesetz über Urheberrecht und verwandte Schutzrechte; UrhG) darstellen.
Birkenstock verfolgte im Rechtsstreit das Ziel, gegen Angebote und Produkte von Konkurrenten vorzugehen. Die Klagen seitens Birkenstock auf Unterlassung (§97 Abs. 1 UrhG, §§2, 15, 17 UrhG) und die Annexanträge auf Auskunft, Schadensersatz, sowie Vernichtung und Rückruf wurden als unbegründet abgewiesen.
Birkenstock und andere Luxusmarken
Das deutsche Unternehmen Birkenstock hat in den letzten Jahren eine internationale Erfolgsgeschichte als Teil von Luxusmarken erlebt.
Birkenstock wirbt auf seiner Homepage damit, die Sandalen empfänden die „natürliche Trittspur eines Fußes im Sand“ nach und passten sich so an, dass „Füße viele Stunden möglichst belastungsfrei in Schuhen durchstehen“. Die Sandalen von Birkenstock stehen jedoch schon lange nicht mehr nur für reine Funktionalität, sondern gelten unter Luxusmarken als besonders Produkt.
Die Creative Directors eine der bekanntesten Luxusmarken Jil Sander, Lucie und Mike Meier, die die Schuhe „an einigen bemerkenswerten Orten begleitet haben, vom Camping in der kanadischen Wildnis bis zum Sitzen am Kamin in den Schweizer Alpen“, hat die „Qualität und Integrität von Birkenstock“ überzeugt. Dies hat sogar eine Zusammenarbeit ermöglicht (Birkenstock X Jil Sander).
Weitere Kollaborationen mit Luxusmarken wie der Königlichen-Porzellan Manufaktur (KPM), einer der renommiertesten Porzellan-Manufakturen der Welt (KPM X Birkenstock), mit bekanntem Model und Figur des öffentlichen Lebens Heidi Klum (Birkenstock by Heidi Klum), mit den Luxusmarken Manolo Blahnik (Manolo Blahnik for Birkenstock) sowie Rick Owens (Birkenstock X Rick Owens I, III, III) verhalfen Birkenstock zu einem Wandel in der öffentlichen Wahrnehmung und zu einem Imagewechsel im Sektor der Luxusmarken.
Designer Blahnik verzierte für die Kollaboration der Luxusmarken Manolo Blahnik und Birkenstock die Sandalen mit den bekannten Blahnik Glitzsohlen. Er triumphierte in einem Webclip „Du kannst in ihnen sogar heiraten, so schön sind sie.“ „Im Grunde sind Birkenstocks wie Jeans: funktional und sexy. Vielleicht sind Birkenstocks sogar die sexiesten Schuhe überhaupt.“ stellte der Designer Rick Owens in einem Interview mit GQ Germany fest.
Im Jahre 2001 sicherte sich der US-Investor L Catterton eine Mehrheitsbeteiligung (65%) an Birkenstock. Der Investor steht unter der Kontrolle von Ultra-high-net-worth individual Bernard Arnault. Hiermit gliedert sich Birkenstock in das Portfolio der Luxusmarken vom französischen Konzern LVMH neben Bulgari, Givenchy, Kenzo, Dior, Céline, Loewe, Fendi, Mark Jacobs, Rimowa und insbesondere Moët Hennessy and Louis Vuitton ein.
Auch auf der Birkenstock-Homepage bekräftige Birkenstock gegenüber den Konsumenten, dass die Sandalen sich „wohltuend von der Flut an Billigprodukten abheben, die unsere Konsumwelt heute in weiten Teilen dominieren.“
Die internationale Markenidentität sei bei Konsumenten von Luxusmarken mit dem Bewusstsein verbunden, dass die Sandalen „herausragenden Komfort, hohe Funktionalität und eine außerordentliche Qualität“ vorweisen und die Verarbeitung unter den „für unsere Marke typischen anspruchsvollen Bedingungen“ stattfindet.
Sogar Rick Owens schätzt die Sandalen gerade aufgrund dieser Funktionalität.„Form folgt Funktionalität“ stellt er in einem Interview zur Kollaboration der Luxusmarken Birkenstock X Rick Owens I fest. „Die Tatsache, dass sie nicht kokett sind, hat etwas Bescheidenes. Sie sind eher streng, was ihren Reiz noch erhöht.“
Birkenstock hat sich somit zweifelsohne zu einer bedeutenden Luxusmarke entwickelt.
Prozessverlauf
Die Früchte dieses Erfolges galt es urheberrechtlich zu schützen und sich gegen Nachahmer zu wappnen. So auch Jochen Gutzy, Chief Communications Officer von Birkenstock „Wir wollen erreichen, dass Kopisten nicht mehr auf dem Rücken unserer Marke Geld verdienen können.“
Birkenstock hatte im Jahre 2023 versucht, sich vor dem Landgericht (LG) Köln gegen den Vertrieb von Sandalen im Internet durch die drei Konkurrenten zu wehren. Birkenstock trug vor, dass den Sandalen urheberrechtlicher Schutz zustünde. Bei der Gestaltung der in Rede stehenden Sandalen habe der Schöpfer Karl Birkenstock die bestehenden Gestaltungsmöglichkeiten so ausgefüllt, dass daraus ein „ikonisches, brutalistisches, typisches Design“ entstanden sei.
Das LG gab den Klagen zunächst statt.
Das Oberlandesgericht (OLG) Köln jedoch wies die Klagen ab und verneinte urheberrechtlichen Schutz. Im Revisionsverfahren bestätigte der BGH die Entscheidung des OLG nun.
Worum ging es konkret?
Das OLG argumentierte eingehend, dass es sich bei Birkenstock-Sandalen nicht um ein Werk angewandter Kunst gemäß §2 Abs. 1 Nummer 4, Absatz 2 UrhG handele und der begehrte urheberrechtlicher Schutz somit ausgeschlossen sei.
Das Urheberrecht ist ein Immaterialgüterrecht und betrifft den Schutz des geistigen Eigentums. Es entsteht anders als beispielsweise das Designrecht als gewerbliches Schutzrecht ohne Eintragung in ein Register (vgl. §27 Abs. 1 Gesetz über den rechtlichen Schutz von Design; DesignG).
Insbesondere berief sich Birkenstock auf das Urheberrecht, da dieses dem Schöpfer unter anderem exklusive Nutzungsrechte an seinem Werk einräumt, welche 70 Jahre nach seinen Lebzeiten weiterbestehen (§64 Abs. 1 UrhG).
Der Schöpfer der Birkenstock-Sandalen Karl Birkenstock ist noch am Leben. Somit wäre ein langfristiger Schutz gewährleistet (Zum Vergleich: Das Designrecht besteht nur für bis zu 25 Jahre; §27 Abs. 2 DesignG).
Dies gilt selbstverständlich nur, wenn die Voraussetzungen vorliegen.
Werk angewandter Kunst
Voraussetzung für den urheberrechtlichen Schutz ist die Einordnung als Werk gemäß §2 Abs. 2 UrhG. Es muss eine persönlich geistige Schöpfung mit individuellen Prägung vorliegen.
Letzteres Kriterium setzt voraus, dass ein Gestaltungsspielraum besteht und der Schaffensprozess seinen Abschluss in dem Werk gefunden hat. Der Grad der individuellen Prägung, auf den es oft ankommt, wird als „Gestaltungshöhe“ bezeichnet.
Bisher hat die Rechtsprechung schon bei einer geringen Gestaltungshöhe (sog. kleine Münze) einen urheberrechtlichen Schutz anerkannt (Geburtstagszugentscheidung; Az. I ZR 143/12). Ziel des Merkmales ist es, eine Abgrenzung zum Alltäglichen und dem rein technisch bedingten Schaffen herzustellen.
Das Gesetz gibt zur Bestimmung eines Werkes in einer nicht abschließenden Liste Werkarten vor. In §2 Abs. 1 Nummer 4 UrhG sind vom Urheberrecht Werke der angewandten Kunst geschützt. Bei diesen steht der Gebrauchszweck im Vordergrund.
Aus diesem Grunde ist das Vorliegen der notwendige Gestaltungshöhe stets genauer zu betrachten und darzulegen. Es muss insbesondere dargelegt werden, inwieweit der Gegenstand über seine, durch die Funktion gegebene Form hinaus, künstlerisch gestaltet und der Gestaltungsspielraum künstlerisch ausgeschöpft ist.
Einschätzung des OLG
Das OLG stellte bezüglich dieser Voraussetzungen fest, dass Sandalen von Luxusmarken dem urheberrechtlichen Schutz grundsätzlich gemäß §2 Abs. 1 Nummer 4 UrhG zugänglich sind.
Zwar sei die Gestaltung von Sandalen von Luxusmarken durch ihren Gebrauchszweck eingeschränkt. Sie benötigen mindestens eine Sole und einen Riemen, der diese am Platz hält, um vom Verwender für das Fortbewegen gebraucht werden zu können. Eine konkrete technisch zwingende Ausgestaltung dieses Zweckes bestehe jedoch nicht.
Das OLG untersuchte weiter, ob dieser begrenzte Gestaltungspielraum vom Schaffer Karl Birkenstock in einer künstlerischen Weise genutzt wurde. Dies sei abzulehnen, denn die nötige Gestaltungshöhe, die den Urheberrechtsschutz rechtfertigte, sei nicht erreicht worden.
Im Kern der Begründung stand die Überlegung, dass der Birkenstock-Schaffer Karl Birkenstock im Bereich des technisch-handwerklichen Schuhmacherhandwerks verblieb und somit die Sandelen nicht schutzfähig sind. Das OLG bekräftige in diesem Zusammenhang. „Nicht die technische Variante, sondern die künstlerische (gestalterische) Leistung ist schutzfähig.“
Die Darlegungslast für das Vorliegen der Voraussetzung der künstlerischen Leistung lege bei der Seite, die urheberrechtlichen Schutz zu beanspruchen suche. Dieser konnte Birkenstock mit seinen Ausführungen zu den Gestaltungsmerkmalen ihrer Sandalenmodelle nicht gerecht werden.
Der Schaffer Karl Birkenstock habe sich bei der Umsetzung der Aufgabe, Sandalen zu entwerfen, die aus einer Sohle und einem Schaft bestehen, rein an gegebene Formen gehalten. Die Gestaltung der Sandalen bewege sich in Formen, die andere marktgängige Produkte bereits kennen, nämlich die Ausrichtung auf einen Schuh, der besonders gesund für den Fuß sei.
Dafür spräche auch die Birkenstock-Homepage, auf welcher die Birkenstock-Sandalen als Gesundheitssandale beworben werden, die am natürlichen Gehen orientiert seien. Dies spräche gegen eine künstlerische Entscheidung.
Insbesondere bezüglich des Materials der Zwischensohle stellt das OLG fest, dass zwar ein Auswahlentscheidungsspielraum bestand. Dieser sei jedoch nicht von einer „objektiv erkennbaren Ausübung künstlerischer Freiheit geprägt“.
Die Materialauswahl der Sohle, die aus einer Kotschrot-Latex-Mischung besteht, sei im Vergleich zu anderen Materialen rein funktionaler Natur, nicht aber künstlerisch bedingt. Es stehe rein die gesundheitsfördernde Funktion im Vordergrund.
Der Ansicht von Birkenstock, nach der die Entscheidung für einen unverblendeten Sohlenschnitt künstlerisch-gestaltender Art sei und die Persönlichkeit des Schaffers Karl Birkenstock widerspiegele, pflichtete das OLG nicht bei. Nach Ansicht des Gerichts begründe Birkenstock die Entscheidung, die Korkschicht nicht zu verkleiden, mit der haptischen und flexiblen Beschaffenheit des Materials, welches eine funktionale und marketingorientierte Designentscheidung darstelle.
Insbesondere sei daher auch bezüglich dieses Gestaltungsmerkmals keine künstlerische Gestaltungsentscheidung zu erkennen.
Bestätigung durch den BGH
Der BGH schloss sich nun in seinem Urteil der Einschätzung des OLG an und stellte fest, dass die Sandalenmodelle von Birkenstock keine Werke angewandter Kunst gemäß §2 Abs. 1 Nummer 4 UrhG darstellen. Ihnen bleibt weiterhin der urheberrechtlich Schutz verwehrt.
Der BGH stimmte der Auffassung des OLG insbesondere in dem Punkt zu, dass für Urheberrechtsschutz sowohl ein gewisser gestalterischer Freiraum als auch dessen Nutzung in künstlerischer Weise nötig sei. Diese künstlerische Ausnutzung des Spielraumes sei ausgeschlossen, wenn Zwänge wie technische Erfordernisse oder Regeln die Gestaltung maßgeblich beeinflussen.
Darüber hinaus unterstrich der BGH nochmals, dass die Anforderungen an die Gestaltungshöhe nicht zu gering ausfallen dürfen. Es müsse ein gewisser Grad an Individualität vorliegen.
In der Sache bestätigt der BGH, dass die inhaltliche Auseinandersetzung des OLG mit den Gestaltungsmerkmalen der Sandalenmodelle von Birkenstock rechtsfehlerfrei stattfand.
Somit wurde das Ergebnis, nach dem der bestehende Spielraum nicht künstlerisch ausgeschöpft wurde, als rechtsfehlerfrei bestätigt.
Resumé
Zwar bedeutet dieses bestätigende BGH-Urteil, dass Birkenstock sich abschließend nicht mehr auf das Urheberrecht berufen kann, wenn es um den Schutz seiner Sandalen geht. Jedoch hat Birkenstock angekündigt sich im Wege des Wettbewerbs-, Design- und Markenrechts in Zukunft gegen Konkurrenten zur Wehr zu setzen.
dtb-Rechtsanwalt und Experte für Urheber- und Markenrecht Leon van Lee hierzu: „Der urheberrechtliche Schutz ist ein wertvolles Instrument für Unternehmen die Luxusartikel vertreiben und aufgrund ihrer besonderen Markenidentität bekannt sind, Nachahmungen zu verhindern. Dies gilt insbesondere mit Blick auf die lange Schutzfrist.“ Er konkretisiert: „Daher sind die urheberrechtlichen Voraussetzungen genau zu prüfen. Nur wenn die Gestaltung in einer solchen Weise individuell und kreativ ist, dass sie als echte künstlerische Schöpfung anerkannt werden kann, ist ein urheberrechtlicher Schutz möglich. Darüber hinaus stellt die Prüfung von Markenschutzrechten stets eine sinnvolle Ergänzung dar.“
Stand 27.02.2025