16.06.2022

1. dtb-Kolumne bei Kulturmanagement Network

Chancen und Gefahren für öffentliche Institutionen im Umgang mit NFTs

Ein aktueller Rechtsstreit um NFTs, die von Werken des großen Photographen August Sander erstellt wurden, stellt drängende Fragen rund um Kunst im digitalen Raum bzw. auf der Blockchain. Wem gehört das Vermächtnis eines der bedeutendsten Photographen? Wer darf es wie nutzen? Der Konflikt zeigt die gesetzlichen Spannungen, die sich für Museen, Stiftungen, Künstlerinnen und Künstler sowie Archivverwalter im Umgang mit NFTs ergeben.

Der NFT-Boom: Beispiele für die Nutzung von NFTs im Zusammenhang mit Kultureinrichtungen

Seit Beginn des NFT-Booms überlegen viele Akteure im Kulturbereich, was sie mit ihren Werken in Zusammenhang mit NFTs (digitale Echtheitszertifikaten) machen können, dürfen und beachten müssen. Prominente Beispiele waren die Galerien der Uffizien in Florenz, die bereits 2021 ein Michelangelo-Gemälde als NFT erstellten und verkauften, oder das Belvedere Museum in Wien, welches pünktlich zum Valentinstag Gustav Klimts „Kuss“ fraktionalisierte, d.h. in 1.000 autorisierte Stücke zerteilte, und zum Verkauf anbot.

Beiden Einrichtungen dienten NFTs als Maßnahme für Fundraising und Vermarktung. Als Vorteile werden weiterhin oft Zugänglichmachung und Teilhabe, welche durch Bereitstellung der Werke auf der Blockchain erreicht werden sollen, genannt. Dieses Ziel hatte der Kölner Galerist Julian Sander, als er im Frühjahr 2022 das gesamte Archiv seines Urgroßvaters, des Photographen August Sander, auf der Blockchain verewigen wollte, obwohl die Urheberrechte bei einer gemeinnützigen Stiftung liegen – und löste damit prompt den ersten großen, öffentlichen Rechtsstreit um NFTs in Deutschland aus.

Aktueller Rechtsstreit: Nutzung der Werke von August Sander

Die Kontroverse betrifft das Verhältnis von NFTs und Nutzungsrechten im Sinne des deutschen Urheberrechts und dient als Paradebeispiel für öffentliche Kultureinrichtungen und Stiftungen, die Fehler im Umgang mit Kunst und NFTs vermeiden möchten.

Julian Sanders Vision war es, das 10.700 Werke umfassende Vermächtnis seines Urgroßvaters mithilfe der dezentralen Blockchain-Technologie für alle Öffentlichkeit verfügbar zu machen. Augst Sander dokumentierte über Jahrzehnte hinweg Menschen aus verschiedensten Berufsgruppen und sozialen Schichten, wodurch er ein umfangreiches Gesellschaftspanorama schuf. Damit zählt er zu den großen Wegbereitern der Photographie im 20. Jahrhundert. Am 10. Februar stellte Julian Sander das Archiv kostenlos auf der Verkaufsplattform OpenSea zur Verfügung; die Interessenten mussten lediglich die Administrationskosten für die Erstellung („Minting“) der NFTs begleichen. Nach kurzer Zeit wurde der Vertrieb von der Plattform jedoch wieder abgesetzt, da die SK Stiftung Kultur – eine gemeinnützige Einrichtung der Sparkasse KölnBonn – protestierte. An diese Stiftung verkaufte Gerd Sander, Enkel von August Sander und Vater von Julian Sander, im Jahr 1992 die Sammlung inklusive aller Urheberrechte. Die Stiftung hält diese Rechte bis 2034, also bis 70 Jahre nach dem Tod des Photographen. Nach dieser Frist erlischt üblicherweise das Urheberrecht eines Schöpfers und die Werke werden gemeinfrei, d.h. für jeden frei nutzbar.

Juristische Analyse

Julian Sander zeigte sich schockiert von dem Vorfall und argumentierte, die SK Stiftung Kultur sei als Non-Profit Einrichtung nicht für den Vertrieb der Werke im globalen Markt zuständig, weswegen er die Bilder in kommerziellen Zusammenhängen verwenden dürfe. Außerdem handle es sich um „Fair Use“ (faire Nutzung), also um eine urheberrechtliche Bestimmung, die besagt, dass geschützte Werke unter bestimmten Umständen auch ohne Genehmigung des Rechteinhabers weiterverwendet werden dürfen. Diese Bestimmung existiert zwar im britischen und amerikanischen Recht, nicht jedoch in Deutschland. Die Stiftung betont nun ihr ausschließliches Nutzungsrecht, das ihr unlimitierten Zugriff auf Sanders Werke ermöglicht und sie zur einzig legitimen Repräsentantin des Archives macht.

Julian Sanders Vorhaben war getragen von den freiheitlichen Versprechungen der Blockchain und Krypto-Sphäre, die Teilhabe und freie Organisationsformen versprechen, ungebunden an einzelne Orte oder Institutionen. Demgegenüber steht auf rechtlicher Seite der Schutz eines Künstler und seiner Werke sowie der Schutz des Inhabers von Nutzungsrechten. Nach deutschem Gesetz wird alles auf drei grundlegende Aspekte des Urheberrechts hinauslaufen: die Rechte zur Vervielfältigung (§ 16), Verbreitung (§ 17) und öffentlichen Zugänglichmachung (§ 19a) der Werke August Sanders. Diese Rechte liegen bei der SK Stiftung Kultur.

Üblicherweise ist die Übertragung von Nutzungsrechten auf Dritte nicht vorgesehen. Zwar gibt es davon Ausnahmen, in jedem Fall müsste aber vorher die Zustimmung bei der Stiftung eingeholt werden. Für die Übertragung von Nutzungsrechten wird in der Regel eine Lizenzvereinbarung benötigt. Dementsprechend kommt es im Fall Sander vor allem auf die Frage an, ob und welche Nutzungsrechte Julian Sander zustanden oder ob er auch ohne Zustimmung der Stiftung NFTs erstellen, bewerben, verkaufen und damit im Sinne des Urheberrechts „nutzen“ durfte. Es wird insbesondere auf den Wortlaut des Vertrages ankommen, mit dem die Urheberrechte im Jahr 1992 an die Stiftung verkauft wurden. Denn der Wortlaut des Vertrages wird als Auslegungshilfe für das Gericht dienen, auf was sich die Parteien vor rund 30 Jahren geeinigt haben. Der Streit wird voraussichtlich im Laufe des Jahres entschieden werden.

Die Bedeutung des Falles Sander liegt nicht nur darin, dass es sich um die Werke eines der wichtigsten Photographen Deutschlands handelt. Es geht auch darum, wie die Versprechungen der neuen Blockchain-Technologien sowie der Krypto-Welt sich auf die Rechte von Kultureinrichtungen, Stiftungen, Künstlerinnen und Künstler und Archivverwalter auswirken können.

Richtlinien für den Umgang mit NFTs

Bereits jetzt veranschaulicht der Fall einige Richtlinien, die für Akteure im Kultursektor im Umgang mit Kunst und NFTs relevant sind.

Ersteller von NFTs müssen sich in jedem Fall vorher informieren, bei wem die Urheber- und Nutzungsrechte liegen, und sollten unter Umständen eine Verwendung oder Lizensierung der betroffenen Werke anfragen oder die vorherige Zustimmung des Inhabers der Urheberrechte einholen. Gegebenenfalls sollte man die Verträge vorher anwaltlich prüfen lassen, um Urheberrechtsverletzungen vorzubeugen.

Auch wenn die Rechtsprechung noch aussteht, wäre es für Julian Sander vorteilhaft gewesen, vor Erstellung der NFTs mit den Inhabern der Rechte in Dialog zu treten oder vielleicht sogar offiziell mit der Stiftung zusammenzuarbeiten.

Nicht unbedeutend für öffentliche Institutionen wie gemeinnützige Stiftungen ist zudem die Tatsache, dass die NFTs im Fall Sander innerhalb weniger Wochen rege weitergehandelt und – verkauft wurden. Auf der Marktplattform OpenSea ist dabei ein Handelsvolumen von 1.1 Mio. € entstanden. Die elektronischen Verträge („Smart Contracts“) legen standardmäßig fest, dass der Hersteller eines jeden NFTs 10 % Beteiligung an den Wiederverkäufen erhält. Dies ist bei NFTs üblich. Auch wenn Julian Sander keine rein kommerziellen Interessen verfolgt hat, profitierte er offensichtlich direkt von den Verkäufen. Für gemeinnützige Akteure eröffnet sich damit die Frage, ob der Gewinn aus Wiederverkäufen der NFTs noch unter den Zweckbetrieb (Verfolgung gemeinnütziger Ziele) gefasst werden kann oder ob es sich hierbei um den weniger steuerbegünstigten wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb (kommerzielle Interessen) handelt. Hier gilt es sauber zu differenzieren und NFTs aus Sicht des Gemeinnützigkeitsrechts sowie des Steuerrechts zu bewerten.

70 Jahre nach dem Tod eines Künstlers erlischt der Schutz seines geistigen Eigentums und wird gemeinfrei. Ab diesem Zeitpunkt darf jeder die Werke frei verwenden. Ein Museum könnte die eigenen Werkbestände oder die zentralen Werke seiner Sammlung daher vorsorglich als autorisierte NFTs erstellen. So wären sie für die Zukunft abgesichert und würden dem Erstellen und Profitieren Dritter zuvorkommen.

Auch aus Sicht eines Künstlers, einer Künstlerin oder Archivverwalters ist es essentiell, auf die Vereinbarungen zwischen den einzelnen Parteien zu achten: Wem stehen die Urheber- und damit einhergehend die Nutzungsrechte an den Werken zu? Beim Verfassen neuer Verträge muss zudem auf den Wortlaut geachtet werden. Es könnte sonst denkbar sein, dass nur herkömmliche Verwendungen der Bilder geschützt, nicht aber die neuen Kontexte der Krypto- und Blockchain-Sphären mit bedacht werden.

Unter Berücksichtigung des aktuellen Rechtsstreits bleibt festzuhalten, dass (1) grundsätzlich jeder NFTs erstellen kann, (2) bis zur Entscheidung offen bleibt, ob nur die Inhaber der Urheberrechte NFTs öffentlich zum Verkauf anbieten dürfen und (3) in jedem Fall die Zustimmung des Urheberrechteinhabers eingeholt werden muss.